
Welches Wort sollte unbedingt erfunden werden?
Diese Frage postete vor einer Weile der Deutschlandfunk Kultur auf Facebook. Es wurde sogar ein neues Wort vorgeschlagen: „Glotzdurst“ für das riesige Verlangen, mal wieder einen richtig guten Film zu schauen. Wobei beim Wort „glotzen" für mich weniger riesiges Verlangen als eher geistesabwesendes oder uninteressiertes Starren mitschwingt – vielleicht besser Filmhunger oder Kinodurst – Lichtspielgier oder Traumfabrikappetit kommen da wohl zu umständlich daher.
Apropos Hunger und Durst, ich erinnere mich noch gut an einen Wettbewerb kurz vor der Jahrtausendwende. Die Dudenredaktion bat in Zusammenarbeit mit dem Getränkehersteller Lipton um Vorschläge für ein Wort, welches entsprechend „hungrig und satt“ im Deutschen das Gegenteil von durstig, also „nicht mehr durstig“ bedeuten sollte. Es war nicht der erste Versuch eine Analogie zu „satt“ zu finden. Bei diesem beteiligten sich jedoch mehr als 100.000 Menschen und reichten 45.000 Vorschläge ein. Als Sieger ging das Wort „sitt“ hervor. Sitt in Anlehnung an satt klang vielversprechend. Heute ist dieses Kunstwort vermutlich in keinem Wörterbuch zu finden und hat sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch nicht durchsetzen können. Schade, aber offenbar zu unbedeutend? Eventuell hätte ein einfaches „undurstig“, wie es in skandinavischen Sprachen vorkommt, mehr Chancen gehabt? Wahrscheinlich ist das Wörtchen satt ausreichend für beides – also Hunger und Durst sind gestillt, wie es die Brüder Grimm im Deutschen Wörterbuch festhielten.
Auch im Familienkreis waren wir vor kurzem auf der Suche nach charmanten Wortschöpfungen für „Banane im Endstadium“ oder das Phänomen des „knapp daneben Verstehens“. Dieses knapp daneben Verstehen findet sich keinesfalls nur bei Kindern in der Findungsphase des richtigen Sprachgebrauchs, doch häufig führt es gerade hier zu besonders amüsanten Wortkreationen. Mir fiel da vor allem die bevorzugte aber auch mal knapp daneben verstandene Verwendung von Fremdwörtern meiner kleinen Tochter auf. Pünktlich zum letzten Kitajahr waren wir im neuen Auto mit „Carbonara“-Dach unterwegs. Das hatte aber weder mit Cabrio noch der italienischen Spaghettisoße zu tun, sondern bot einfach einen wunderbaren Blick in die Weiten des Himmels. Für die coronagestressten Kinder gab es in der Kita zur Entspannung „Automobiles Training“. All meine Verbesserungsvorschläge wurden vehement abgelehnt und stattdessen der ahnungslosen Mutter silbenweise der „korrekte“ Ausdruck nahegebracht: „Au-tO-mO-biii-les Training“. Ok, dachte ich, was auch immer die da in der Kita treiben mögen. Für einen Sonntagsausflug zum Pröbstingsee wollte sie mir beim „Haare stylen“ behilflich sein und meinte: „Ich mach dich jetzt ultimativ.“ In ihrer Vorstellung ist das vermutlich eine Version für bestmöglich schön, so hoffe ich zumindest… Danach drehten wir bei schönstem Spätsommerwetter ein paar „Bioretten“ mit dem Tretboot und anschließend ging es weiter zum „Restepong“.
Meine Tochter hatte schon als Kleinkind besonders wohlklingende Wortschöpfungen auf Lager, die zum Teil heute noch die ursprünglichen Wörter im Sprachgebrauch unserer Familie ersetzten. Hier eine kleine Auswahl: „Lingelonga“ für Luftballon, „Kakatao“ für das schokoladige Milchmischgetränk (nicht zu verwechseln mit der indonesischen Vulkaninsel), „Pjongs“ für ihre Lieblingspilzsorte, „balanksen“ um sich im Gleichgewicht zu halten oder „Häppituju“ allgemein für Geburtstage, was dem Dauerbrenner „Happy Birthday“ zahlreicher Kita-Geburtstagszeremonien geschuldet sein mag. Das ist doch alles ganz „hamal“ (= normal), versteht sich!
Ganz sicher sind auf diese Weise so einige Kose- und Spitznamen entstanden, die einen ein Leben lang begleiten – zur Freude oder auch zum Leid der Namensträger:innen. Doch meist bringt dieses „Verstehen“ im Sinne von „Verhören“ mehr Vergnügen als Verdruss. Wer davon nicht genug bekommen kann oder noch eine erfrischende Sommerlektüre für den Urlaub oder das Freibad braucht, dem empfehle ich die „Handbücher des Verhörens“ von Axel Hacke. Seine Reisen ins Sprachland bieten neben peinlichen oder witzigen „Verhör“geschichten zudem ein ausgewogenes Bauchmuskeltraining, was in der Badesaison sicher nicht zu verachten ist.
Nadine Schober
Nadine Schober nahm über das Haldern-Pop-Festival 2006 Fühlung mit der Region auf. Zwei Jahre später startete sie nach ihrem Studium in Hamburg ihr Volontariat im Bocholter Textilmuseum. Nach gut einem Jahrzehnt hat sie dieses Fleckchen Erde zu schätzen gelernt. Vor allem Grenzregionen wecken das Interesse der Ethnologin. Die gebürtige Mecklenburgerin wagt dabei stets einen Blick über den Tellerrand. Ob Kulinarisches, sprachliche Eigenheiten oder Ökolandbau – ihre Interessen sind breit gefächert. Poetry Slam, Street Art und Flohmärkte lassen ihr Herz höherschlagen. Im kult Westmünsterland arbeitet sie im Archivteam des historischen Archivs und im Kreisarchiv Borken.

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