
Neulich las ich in der „Weltkunst“-Beilage der ZEIT über die lang ersehnte Wiedereröffnung des Kunstmuseums in Antwerpen. Der Kunsttempel Europas mit dem stattlichen Namen „Königliches Museum der Schönen Künste Antwerpen“ oder kurz KMSKA öffnete am 24. September 2022 seine Türen nach einer überschaubaren Renovierungszeit von elf Jahren. „Antwerpen feiert die Schönheit“ und „prachtvoller als je zuvor“ war dort zu lesen, erstrahlen nun die Schätze aus sieben Jahrhunderten in Belgiens größtem Museum.
Da wunderte es mich gar nicht, dass bereits kurze Zeit später mein Mann mit einem Reisevorschlag um die Ecke rauschte. „Schau mal, was ich für die Herbstferien entdeckt habe“. Er hatte den Artikel natürlich auch gelesen …
Mir kamen da allerdings einige Bedenken, ob unsere Kinder einen weiteren Städtetrip in diesem Jahr verkraften könnten. Im Frühling Paris, das war noch cool; im Sommer Kopenhagen, da gab es ausreichend Schlösser und Schlösser gehen eigentlich immer; und nun im Herbst in die Diamantenmetropole … Da waren schließlich weder Strand noch Badewetter inbegriffen. Obwohl – belgische Pralinen könnten verlockend sein und eventuell noch Moules Frites. Doch es half nichts, die Schönheit der Kunst hatte (mal wieder) gesiegt.
Zum Glück hatte unsere kleine Tochter schon ein wenig Erfahrung mit Kunstausstellungen, wie man im Artikel über Christopher Lehmpfuhls Farbrausch nachlesen kann. Trotzdem machten wir sicherheitshalber zunächst „Übungsstationen“ im Antwerpener Druckereimuseum und im Rubenshaus. Als diese von allen Beteiligten ohne größere Nervenschäden überstanden waren, wagten wir uns schließlich in das Kronjuwel KMSKA.
Nachdem mein Mann mit unserer großen Tochter das Eintrittsprozedere im KMSKA erfolgreich absolviert hatte, war ich mit unserer kleinen Tochter an der Reihe. Wir beide wurden direkt äußerst freundlich ein wenig zur Seite genommen und ich befürchtete schon eine Einweisung in die besonders strengen Verhaltensregeln in diesen heiligen Hallen, durch die uns gleich zu Anfang der Spaß am Museumserlebnis genommen würde. Doch es kam ganz anders: Man erzählte uns von einer Abenteuerreise durch das Museum, die als Kunstinstallation extra für Kinder eingerichtet worden war und drückte uns einen Abenteuerrallyeplaner samt Schatzkarten und Malwerkzeug in die Hände:
Der belgische Künstler und Opernregisseur Christophe Coppens kreierte für das KMSKA die Entdeckungsreise „the 10“ als Parcours für Kinder. Dabei ließ er sich von markanten Details in insgesamt zehn Kunstwerken der Alten und Modernen Meister inspirieren und schuf daraus gemeinsam mit Künstler:innen und Handwerker:innen der Werkstätten des Brüsseler Opernhauses La Monnaie zehn Skulpturen und Installationen, die es nun für uns zu entdecken und zu erforschen galt.
Die erste Station erschien uns fast wie eine Fata Morgana. Mitten im größten Saal der Alten Meister wuchs eine Insel aus burgunderrotem Samt aus der Köpfe und Beine von lebensgroßen Dromedaren in alle Richtungen hin abstanden. Diese Insel wurde sofort erobert und besetzt. Vom Rücken eines samtweichen Dromedars ließen sich die gemalten Dromedare in Peter Paul Rubens Gemälde viel besser erkunden und ein Audioguide erzählte Geschichten dazu. So mancher Erwachsene umschlich begehrlich das violette Polstermonster und nur einzelne Mutige wagten sich in die hügelige Samtmasse. In diesem Saal konnte ich mir nun Zeit lassen. Meine Tochter war glücklich und nicht mehr so leicht weiter zu bewegen, wäre da nicht das Verlangen nach der nächsten Eroberung. Nur ein paar Räume weiter warteten eine zum Fürchten dunkle Felsenhöhle, eine rattengroße haarige Fliege, die rotierende Hand eines Riesen und der Schädel eines Urzeit-Zebras, wahlweise als Kletterberg oder Sitzmöbel verwendbar. Im Laufschritt die Treppen runter ging es weiter zu den Modernen Meistern im „White Cube“. Hier stießen wir auf das fluffig weiße „Toupet“ von Henri Rocheforts störrischem Haarschopf, die Riesenrotznase einer feinen Dame aus James Ensors Maskenwelten und ein vermeintlich friedliches grünes Monster im Käfig, das nur die Tapfersten zu streicheln wagen. Bei jeder Station galt es das Pendant der Parcours-Gebilde in einem der Gemälde im Saal wiederzuentdecken um dann selbst Details aus diesen Bildern zu skizzieren und in Geste, Klang oder Emotion nachzuahmen.
Zwei Stunden später rieben wir uns verwundert die Augen und konnten kaum glauben, wie schnell die Zeit vergangen war. Der Bärenhunger nach so einem Abenteuer verhinderte allerdings weitere Erkundungen. Doch das Fazit für unsere Parcours-Tour: Schön – schöner – wunderschön war es!
Nadine Schober
Nadine Schober nahm über das Haldern-Pop-Festival 2006 Fühlung mit der Region auf. Zwei Jahre später startete sie nach ihrem Studium in Hamburg ihr Volontariat im Bocholter Textilmuseum. Nach gut einem Jahrzehnt hat sie dieses Fleckchen Erde zu schätzen gelernt. Vor allem Grenzregionen wecken das Interesse der Ethnologin. Die gebürtige Mecklenburgerin wagt dabei stets einen Blick über den Tellerrand. Ob Kulinarisches, sprachliche Eigenheiten oder Ökolandbau – ihre Interessen sind breit gefächert. Poetry Slam, Street Art und Flohmärkte lassen ihr Herz höherschlagen. Im kult Westmünsterland arbeitet sie im Archivteam des historischen Archivs und im Kreisarchiv Borken.

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