Morgenkaffee – Kaffeemorgen

von Gregor Greve

Kultur und Leben

Eine der skurrilsten Unterhaltungen, die ich jemals geführt habe, ging um etwas völlig Harmloses. Es geschah vor etwa vier Jahren auf einer Messe in Hannover. Nach stundenlangem Herumschlendern durch die endlosen Hallen und den ewigen Gesprächen zwischen Fachleuten, die den jeweils anderen davon zu überzeugen versuchen, dass ihr Produkt das bessere sei, war ich einerseits durstig und gleichzeitig müde. Was tut man da? Richtig, ich begab mich auf die Suche nach einem Kaffee. Da ich mich nicht dazu durchringen konnte, an einer der zahlreichen Verpflegungsstationen für viel Geld einen dünnen Kaffee zu kaufen, landete ich an einem der Messestände, der ausgestattet war mit einer Kaffee-Station und einem engagierten Barista hinter der Theke. Dieser bereitete mit gekonnten Handgriffen einen wohlschmeckenden Espresso zu und wir kamen ins Gespräch. Und während das bittere Dunkel meine Lebensgeister wieder weckte, entfaltete sich eine Unterhaltung, welche auch im Rückblick noch immer leicht verstörend auf mich wirkt.

Wir sprachen im Smalltalk-Modus über dies und das und landeten naheliegenderweise letztendlich auch bei Kaffee und dessen Zubereitung. Ab diesem Moment war mir klar, dass dieser Barista seinen Job lebt, denn bei diesem Thema ging er ins Detail. Nach einer langen monologartigen Aufzählung verschiedenster Kaffeesorten und deren Vor- und Nachteile kamen wir auf die große Messehalle und deren Einfluss auf die Zubereitung zu sprechen. Der gute Mann versuchte mir nahezubringen, wie sehr sich die Anzahl der Messebesucher:innen in Kombination mit der Tagestemperatur auf den Kaffee auswirkten. So müsse er – nach eigener Angabe – den Mahlgrad ständig anpassen, um einen konstanten Durchfluss zu gewährleisten. Im ersten Moment (und auch im zweiten) kam mir diese penible Anpassung ziemlich übertrieben und skurril vor. Der Mann kocht Kaffee und entwickelt keine hochexplosive Chemikalie unter Laborbedingungen! Wie vernarrt muss man in die Materie sein, um solche Unterschiede geschmacklich tatsächlich zu bemerken? Wenn die Fähigkeit zur Wahrnehmung geschmacklicher Unterschiede nicht sogar, wie oft bei Verkostungen, reine Einbildung ist … Ich stelle mir vor, wie der Barista alle halbe Stunde ein Thermometer, ein Hygrometer und einen Taschenrechner hervorholt, um die Gegebenheiten vor Ort genau berechnen und dann seine Kaffemühle entsprechend umjustieren zu können.

Auf der anderen Seite, das muss ich zugeben, zeugt diese Einstellung doch von einer hohen Affinität zur eigenen Arbeit. Bei einer längeren Überlegung wünschte man sich als Kunde und Verbraucher doch eigentlich eine ähnliche Einstellung und starke Identifikation mit dem eigenen Produkt auch von Mitarbeiter:innen vieler anderer Dienstleister – wie oft wurde man schon beim Bäcker mit seiner Frage, ob das Brötchen tatsächlich mit Vollkorn oder ‚nur‘ Ölsaaten gebacken ist mit einem Schulterzucken allein gelassen? Kann man immer Höchstleitung und Topform von den Leuten verlangen? In einem kurzen Verkaufsgespräch weiß der Kunde schließlich nichts über die Hintergründe des Verhaltens des oder der Verkäuferin. Ist ein Familienmitglied kürzlich verstorben? Wurde sie oder er einer schlechten Schicht zugeteilt? War der Beruf des Verkäufers überhaupt die erste Wahl nach Abschluss der Schule? Und wenn wirklich alle so wären wie dieser Barista in Hannover, müsste man dann nicht in jeder Verkaufssituation viel Zeit und Geduld mitbringen, um über etwas belehrt zu werden, das man unter Umständen gar nicht wissen will und gerade nur alle wichtigen Utensilien fürs Frühstück zusammen haben möchte? Gerade wenn das vor dem ersten Kaffee am Morgen passiert, könnte das meine Belastbarkeit ggf. sogar noch stärker auf die Probe stellen als zur Schau gestelltes Desinteresse des Verkaufspersonals.

Insofern würde ich mir als Kunde zwar vielleicht ab und zu mehr Menschen wie diesen Kaffee-Spezialisten wünschen, versuche aber gleichzeitig, etwaige Stimmungslagen meines Gegenübers nicht sofort mit Zivilisationskritik zu deuten. In diesem Sinne mache ich mir jetzt erstmal einen Kaffee und werde dabei den Mahlgrad einfach einmal außer Acht lassen.

Gregor Greve

Nach verschiedenen Stationen an deutschen Museen hat es den gebürtigen Kieler ins Münsterland verschlagen. Neben der Betrachtung und Analyse guter Filme ist das Filmemachen eine seiner Leidenschaften. So ist es nicht verwunderlich, dass der Anglist und Medienwissenschaftler der Mann hinter der Kamera des kult-YouTube-Stars Rock McSock ist. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit dem Sammeln (und Spielen) von E-Gitarren, der Unterstützung seines Heimatvereins Holstein Kiel und Konzertbesuchen verschiedenster Stilrichtungen.

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