Schreibtischscharmützel III: Berühmte Mäuse als Gemeingut
von Flemming N. Feß und Gregor Greve
Schreibtsichscharmützel Kultur und Leben Museum und Forschen

Die größten Erkenntnisse entstehen im Austausch miteinander, das wussten schon die alten Griechen. Zwar können unsere Autoren kein altgriechisch, aber diskutieren, das bekommen sie hin. Seit mehreren Jahren sitzen und arbeiten Flemming N. Feß und Gregor Greve Schreibtisch an Schreibtisch im kult Westmünsterland. Klar, dass dabei auch manchmal hitzig diskutiert wird. Mit den „Schreibtischscharmützeln“ lassen die beiden Sie, als Leser:innen, an einem virtuellen Bürogespräch teilhaben, dessen Ausgang – wie der vieler Bürogespräche – ungewiss ist.
Ihr Thema heute: Eine sehr berühmte Maus und der Übergang von Eigentum zu kulturellem Erbe

Hallo Gregor, es ist wieder soweit, eine neue Runde unseres Austauschs hier auf der Kulturachse. Darauf freue ich mich immer! Diesmal habe ich ein Thema mitgebracht, bei dem ich sehr gespannt bin, was du dazu sagst: Vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass Disney in Kürze die Rechte an Micky Maus verliert, weil nach 95 Jahren offenbar endgültig der Urheberrechtsschutz ausgelaufen ist. Wieso genau jetzt nach 95 Jahren, habe ich mir nicht gemerkt, das US-Recht ist da offenbar etwas komplex, aber ich fand es sehr spannend. Ich meine, das ist ja deren absolute Aushänge-Figur, sie benutzen ihre Silhouette ja sogar teilweise als Logo! Und ein bisschen weiter gedacht ist mir eingefallen, dass letztendlich jeder Schutz des geistigen Eigentums, sei es nun Urheberrecht oder Patentrecht, irgendwann zwangsläufig endet …
Hallo Flemming. Ach, ist es schon wieder soweit, wie die Zeit vergeht … aber auch diese Feststellung steht mit deiner Überlegung in einer direkten Beziehung. Das Micky Maus-Thema ist mir bisher noch nicht untergekommen, finde ich aber höchst spannend. Die Frage ist doch grundsätzlich, wie lange ein Unternehmen Rechte halten und damit eine Exklusivität behaupten kann, bevor das Produkt oder die Erfindung Eingang in die Allgemeinheit findet. Warum sollte es einem Produkt da anders gehen als Filmen oder Kunstwerken, zumal ja Micky Maus ein Extrembeispiel der Wertschöpfung und damit beides ist, Kunstwerk und Handelsware.


Ja, du hast schon recht, es ist eigentlich gar nichts anderes, ob es nun um die Rechte für ein Gebrauchsprodukt oder für ein Kunstwerk geht. Zumal man streng genommen ja auch noch zwischen dem Urheberrecht der/des Künstler:in – also hier Walter Disney als Person – und dem der Firma unterscheiden muss. Aber so oder so: Irgendwann, wenn der Mensch, der eine bestimmte Sache erfunden/erschaffen/entwickelt hat, eine lange Zeit tot ist und die Erben davon ihren Reibach gemacht haben, schützt zwangsläufig kein Recht mehr diesen Schöpfungsakt vor Nachahmern und die Idee gehört der Allgemeinheit. Das ist erstaunlich unkapitalistisch für unsere Gesellschaft, findest du nicht?
Wahrscheinlich konnten sich die Väter des Urheberrechts nicht vorstellen, dass auch noch die Nachkommen in dritter Generation mit einem Produkt/Werk eine goldene Nase verdienen würden. Oder aber sie haben sich gedacht, dass jede Idee irgendwann zu einer Art Welterbe wird, die niemand mehr ausschließlich besitzen sollte. Diese Vorstellung gefällt mir ausgesprochen gut, kommt es eigentlich der Idee von Museen recht nah. Aber du weißt ja auch, dass unter diesen die Einstellung zu dem Thema durchaus unterschiedlich ist, obwohl es im Grunde um Objekte von öffentlichem Interesse geht.


Wir sind ausnahmsweise einer Meinung, auch mir gefällt der Gedanke, dass Dinge irgendwann kulturelles Erbe werden und dass das offenbar selbst in unserer marktgetriebenen Welt ein Punkt ist, wo dieser Gedanke höher steht als die finanzielle Wertschöpfungskette. Letztendlich ist der ‚Sturz' in die Gemeinfreiheit ja auch nur für solche Werke und Produkte ‚gefährlich', die so erfolgreich sind, dass sich tatsächlich auch nach Jahrzehnten damit Geld verdienen lässt. Wenn die Diddl Maus irgendwann gemeinfrei werden sollte, kräht da dann vermutlich kein Hahn mehr nach, weil sie einfach fürs langfristige kulturelle Erbe nicht einflussreich genug war. Die Zeit bestimmt eben, was kulturelles Erbe wird. So gesehen finde ich es nur konsequent, dass es eine zeitliche Grenze für die exklusive Gewinnschöpfung gibt.
Hm, na ja ... Ich glaube, es kommen noch spannende Dinge auf uns zu: Tamagotchi, E.T., Alf, Buffalo-Schuhe, Nokia Handys, etc. Auf der anderen Seite strahlen die Produkte ja trotz der Freigabe noch immer und sind untrennbar mit dem Unternehmen verbunden, Ich denke da gerade an eine Klingenserie von Gillette, die doch auch demnächst auslaufen soll. War es Mach3? Der Begriff bleibt ja trotzdem immer mit dem ‚Erfinder' verbunden. Also wird auch ohne diese Exklusivität das ‚Original' voraussichtlich nicht deswegen wirtschaftlichen Schiffbruch erleiden.
Aber bevor wir noch weiter ins Philosophieren geraten, würde ich vorschlagen, dass wir uns in der musealen Praxis vorerst vorrangig weiter um Exponate kümmern, bei denen a) die Rechtslage geklärt ist oder die b) aufgrund ihres Alters keinem Hersteller zugeordnet werden können. Was meinst du?


Ob Tamagotchi & Co wirklich ihre Spuren hinterlassen? ... Die Zeit wird es zeigen - zu diesem Thema habe ich mir in einem anderen Artikel dieser Kolumne ja schon einige Gedanken gemacht. Du hast auf jeden Fall recht, dass wir uns hier nicht in die Gefahr bringen wollen, in eine philosophische Kapitalismuskritik hineinzuschlittern. Unabhängig davon bin ich gespannt, ob uns bald die schwarz-weiße Maus in der Latzhose noch in ganz unerwarteten – möglicherweise gar nicht so familientauglichen Kontexten begegnet, so wie Winnie Puuh, den das gleiche Schicksal kürzlich ereilt hat, in einem Horrorfilm oder aber ob unsere Rasierklingen bald sehr viel günstiger werden … Erstmal aber wie immer herzlichen Dank für das anregende Gespräch!
Flemming N. Feß
Flemming N. Feß ist auf seinem Lebensweg schon weit in Deutschland herumgekommen. Im kult Westmünsterland ist er als Kurator für Sonderausstellungen zuständig. Den gebürtigen Schleswig-Holsteiner begeistert alles, was eine spannende Geschichte erzählt. Seine Freizeit verbringt er bevorzugt im Kino – oder mit einem guten Buch. Wenn er sich aber nicht gerade in ferne Welten entführen lässt, erkundet der Medienwissenschaftler und Historiker gerne in guter Gesellschaft unterschiedlichste Craftbeer-Stile. Als Liebhaber von Puppentrick ist er zudem die Hand und Stimme hinter der Sockenpuppe Rock McSock.

Gregor Greve
Nach verschiedenen Stationen an deutschen Museen hat es den gebürtigen Kieler ins Münsterland verschlagen. Neben der Betrachtung und Analyse guter Filme ist das Filmemachen eine seiner Leidenschaften. So ist es nicht verwunderlich, dass der Anglist und Medienwissenschaftler der Mann hinter der Kamera des kult-YouTube-Stars Rock McSock ist. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit dem Sammeln (und Spielen) von E-Gitarren, der Unterstützung seines Heimatvereins Holstein Kiel und Konzertbesuchen verschiedenster Stilrichtungen.

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